Mein Leben, Lieben, Staunen, Genießen und Arbeiten auf Mallorca. Gedanken und Geschichten einer ehemaligen Journalistin, dann Aussteigerin, Gastarbeiterin, heute Therapeutin und Dozentin.
Montag, 18. April 2011
Eine Liebesgeschichte
Die Zeit war fast um. Nur noch wenige Minuten, vielleicht eine knappe Viertelstunde, wenn er die Zeit ein wenig strecken wollte. Vorsichtshalber. Ein bisschen mehr Spielraum. Was seine Geschichte glaubhafter machen würde. Insgesamt betrachtet. Sie schaute ihn immer ein wenig skeptisch an, wenn er zur Haustür hereinkam. Misstrauisch, und es schmerzte ihn tief, sie zu belügen. Auch wenn ganz klar war, dass sie es ja so wollte. Dass es keine andere Möglichkeit gab, als so zu tun. Absolut nicht. Die Wahrheit blieb unausgesprochen. Und hing dennoch zwischen ihnen wie ein schwarzes, schweres Band. Ein Band, das sie zusammenhielt, genauso wie die unzähligen weißen und bunten Bänder ihrer langen, langen Beziehung. Doch so dunkel und traurig, dass es Schatten warf in alle Richtungen. Sie spielten dieses Spiel schon eine ganze Weile. Monate. Zähe, kraftraubende Monate. Nun, lange würde es nicht mehr funktionieren. So viel stand für ihn fest. Und auch sie wusste es, da war er sich sicher. Noch eine Weile den Schein wahren. Bedächtig schaute er hoch zum Himmel, auch der wusste es besser. Unverschämt Blau mit der Leuchtkraft des lebendigen Sommers. Doch die Herbststürme würden kommen. Schon sehr bald. Auch in diesem Punkt war die Zeit fast um. Wie sehr ein Geschenk doch schmerzen kann. Dabei hatte sie es nur gut gemeint, aber geschehen nicht tatsächlich die größten Fehler aus Liebe? Sie sah ihn an, und dabei wollte sie ihn nicht sehen. Nicht erkennen, an welchem Rand ihrer beider Beziehung stand. Einen winzigen Schritt vom Abgrund entfernt. Der sie unweigerlich und unwiederbringlich von einander trennen würde. Für immer. Was für eine Aussage. Schluss. Aus. Vorbei. An sich hatte er immer gut gehen können. Er hatte ein hervorragendes Gespür dafür, wann eine Sache ausgesessen war. Und nun saß er hier in diesem Wäldchen seine Zeit ab. Nicht weit von seinem Haus entfernt. Doch weit genug entfernt von ihr, damit sie ihn nicht sah. Ihn nicht entlarvte. Ihn nicht fragen konnte. Der Rucksack neben ihm fiel schwer ins Gewicht. Prall gefüllt mit seinen noch trockenen Badehosen und Handtüchern. Der Rucksack: Ein Teil ihres Geschenkes. Ein Teil der Abmachung, sich noch einmal dem Leben zuzuwenden. Noch einmal der Mann zu sein, der er vor vielen Jahren gewesen war. Den sie bereits verloren hatte, ohne es zugeben zu können. Auch darüber wurde geschwiegen. Und vielleicht war es auch ganz gut so. Zumindest in einigen Punkten. Manchmal so zu tun, als sei die Welt in Ordnung? Was konnte daran schlecht sein. Den Schmerz für einen Moment vergessen. Denn keine Sorge, er meldete sich ganz von allein und beständig zurück. Darüber musste man nun wirklich nicht reden. Er hatte Begeisterung gezeigt, Begeisterung vorgetäuscht, als sie ihm freudestrahlend und voller Optimismus sein Geschenk überreichte. Vielleicht hatte sogar er selbst noch einmal für einen unscheinbaren Moment daran geglaubt, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können. Seinen Körper noch einmal lieben zu lernen. Regelmäßig schwimmen zu gehen, wie er es in seiner Jugend getan hatte. Doch sein Kopfsprung ins kalte Wasser war schon lange den schweren, leidvollen Bewegungen eines kranken, alten Mannes gewichen. Bis zu seiner Bank, seinem Versteck im Wald, zu gelangen, war bereits eine Tortour an sich. Doch das war er ihr schuldig. Nicht das Haus zu verlassen, um - aber natürlich! - seine Bahnen im Wasser zu ziehen, nein, das tat er ihr nicht an. Und so schlich er sich immer zur Tür heraus. Rief einen kurzen Abschiedgruß die Treppe hinauf, damit sie sein Gesicht nicht entschlüsseln konnte. Sie seine gespielte Fröhlichkeit nicht zutiefst verletzen würde. Das Prinzip der Hoffnung. Die Zeit war um. Mit zähen Bewegungen erhob er sich von der Waldbank, schulterte den viel zu schweren Rucksack und schlurfte mehr als das er ging, nach Hause. Zu ihr. Schließlich war die Zeit knapp. Und unsagbar kostbar. Den nächsten Sommer würden sie nicht mehr miteinander verbringen ......
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